Dienstag, 21. Januar 2014
Beziehungsrechnung.
Müde gucke ich auf mein Handy. Es ist 3.10Uhr und noch immer sitze ich in einer alten Kneipe in einem 1000 Seelendorf, welches ich meine Heimat nenne. Alle paar Wochen verlasse ich den Ruhrpott um mich ins tiefste Westfalen zu begeben, wo ich mich mit alten Schulfreunden treffe. Normalerweise freue ich mich auf diese Abende, aber diesmal ist es anders. Ich bin gelangweilt von den alten Gesichtern und Geschichten, vom schalen Bier und der Ruhe auf den Straßen. Ich blicke Anne an, meine beste Freundin seit dem Kindergarten, und auch sie macht einen müden Eindruck. „Betrunkene Männer sind eklig“, meint sie und wir schauen uns um. Auf den Barhockern und Bänken sitzen voll gesoffene Männer aller Altersgruppen. An der Theke sitzen die alten, die froh sind einmal in der Woche ihrem schnöden Familienleben zu entkommen. Sie schunkeln zu Helene Fischer Liedern, prosten sich zu und geraten ins Schwanken, sobald sie den Barhocker nicht mehr berühren. Neben uns beobachten wir die jüngeren Männer. Die, mit denen wir zusammen da sind. Wir erblicken ihre aufgequollenen Gesichter, den leeren Ausdruck ihrer Augen und ihre Körper, die sie nicht mehr unter Kontrolle haben. Anne und ich überlegen ob wir es eher lustig oder ekelhaft finden. Wir entscheiden uns dafür, dass die Männer (oder besser gesagt Jungs) einen mitleiderregenden Eindruck machen. Wie sie sich nicht mehr auf den Bänken halten können und ihre Augen immer wieder zu fallen. Warum geht man in diesem Stadium der Trunkenheit nicht einfach nach Hause? Nein, Männer brauchen immer mehr. Unter Jungs will keiner der erste sein, der aufgibt und nach Hause geht. Aufgeben, das heißt, sich selbst einzugestehen, dass man unendlich betrunken ist und nicht mehr weiter kann. Aber das wäre ja eine Blamage, jeder will der Stärkste sein. Wenn man so darüber nachdenkt, ist es schwer zu glauben, dass diese „Männer“ schon Mitte Zwanzig sind, wo sie sich doch benehmen wie 16 Jungs, die sich gegenseitig beweisen wollen, wie trinkfest sie sind. Anne und ich nippen nur noch an unserem kleinen Bier, wir haben für heute genug. Sie verabschiedet sich und lässt mich alleine zurück. Ich kann es ihr nicht verübeln, sie hat keinen Grund mehr zu bleiben. Ich hingegen warte solange hier, bis mein Freund sich endlich eingesteht, dass er genug für heute hat. Um Streit zu vermeiden, lächle ich und überspiele meine Langeweile mit ein paar dummen Sprüchen. Ich gehe eine rauchen und denke darüber nach, wo mich meine Beziehung hinführt. Alex und ich sind nun fast 5 Jahre zusammen und wollen vielleicht bald zusammen ziehen. Vielleicht. Sicher ist noch gar nichts. Seit 5 Jahren geht das mit uns nun schon und wo sind wir gelandet? Sind Beziehungen nicht dafür da, dass es weiter geht? Zusammen wohnen ist der nächste Schritt, so viel ist klar. Nach 5 Jahren wird es langsam Zeit für den nächsten Schritt. Dann nochmal 3-5 Jahre und man kann guten Gewissens heiraten oder nicht? Ich fühle mich wie in einem Wartesaal für die Liebe. Ich habe zwar einen Termin, aber warte schon 5 Jahre bis ich endlich dran komme. Und dann muss nochmal Zeit vergehen. Aber das scheint doch der Sinn der Liebe zu sein. Beziehungen sind die Vorbereitung auf das Leben, welches man später führen wird. Demnach sollte man sich in einer Beziehung jetzt schon vorstellen können, seinen Partner zu heiraten oder nicht? Sonst wäre jede Beziehung doch reine Zeitverschwendung. Man verbringt 5 Jahre und mehr seines Lebens zusammen, mit dem Wissen, dass man die Person niemals heiraten wird. Dann gibt es eine schlimme Trennung, viele Erinnerungen und eine lange Zeit, die verstreichen muss, bevor man sich dem ganzen erneut aussetzt und einer neuen Person die Chance gibt, Teil seines Lebens zu werden. Zu viel Zeit, die vergeht. Rechne ich es aus, brauche ich 5 Jahre und mit jemandem zusammen zu ziehen, nochmal mindestens 3 Jahre bis zum Antrag. Dann nochmal ca. 2 Jahre bis zum Kind. Insgesamt 10 Jahre vergehen, bis ich eine Familie habe. Da sollte man sich doch jetzt schon sicher sein, dass die Zeit nicht umsonst ist und dass man mit der Person, mit der man heute zusammen ist, auch den Rest seines Lebens zusammen sein will. Ich bin nun 25. Heirat mit 28. Kind mit 30. Das klingt nach einem guten Plan. Aber wenn das nicht klappt? Trennung mit 28. 2 Jahre Singledasein. Dann bin ich 30, bis zum Zusammenziehen 35. Heirat mit 38. Kind mit 40. Ist mir das nicht schon viel zu spät? Die Rechnung geht nicht auf. Dann lieber jetzt trennen, damit man genug Zeit für die Suche nach dem perfekten Partner hat? Oder habe ich jetzt einfach andere Prioritäten als in 10 Jahren? Wahrscheinlich brauche ich mit 30 keine 10 Jahre mehr, bis ich mich entscheide zu heiraten. In meinem Alter habe ich noch Zeit wählerisch zu sein, vielleicht nehme ich unter Zeitdruck einfach alles was ich kriegen kann. Keine schöne Vorstellung. Die Frage die ich mir immer wieder stelle, ist ob eine Beziehung Sinn macht, wenn man nicht den Rest seines Lebens mit seinem Partner verbringen will oder ob man sie lieber aufgeben soll, damit mehr Zeit für die Suche bleibt. Die ganzen Zahlen schwirren in meinem Kopf rum und meine Zigarette ist fast aufgeraucht. Als ich wieder reingehen will, kommt Alex mir entgegen. „Wollen wir gehen, ich bin total fertig“. Na endlich, denke ich mir. Er legt den Arm um mich, singt mir ein Lied und wir torkeln zusammen nach Hause. Es ist nun knapp 4.00Uhr und ich bin einfach froh dass ich nicht alleine bin. Ist mir egal, ob es Zeitverschwendung ist, niemand weiß was in ein paar Jahren ist. Aber jetzt grade, bin ich einfach nur glücklich, dass er bei mir ist.

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